Das Grauen der Elternsprecherwahl

Das Schlimmste an Elternabenden ist die Elternsprecherwahl.  Denn niemand von den Eltern will wirklich Elternsprecher sein. 

Da musst du nämlich Dinge organisieren, dich um Kuchen und Geschenke kümmern, bei Elternbeiratssitzungen teilnehmen und mit Lehrern über die Probleme anderer dummer Kinder sprechen, weil deines ist ja schlau, deine Tochter ist aktuell Klassensprecherin, sie hilft anderen Kindern bei Problemen und Hausaufgaben, gestern hat sie dem kleinen Joey die Funktionsweise einer Glühbirne erklärt und weil niemand in der großen Pause mit Jonas spielt, spielt sie mit ihm, das heißt, er darf ihr beim Brotzeit essen zusehen, weil sie lieber isst statt mit Jonas zu spielen, aber weil sie schlau ist, hat sie daraus ein Spiel gemacht: „Pass auf, Jonas, du schaust still zu, während ich esse, und wenn du es die ganze große Pause schaffst, hast du gewonnen und bekommst die Krümmel aus meiner Brotzeitbox.“  

Das ist meine Große, sie übernimmt Verantwortung und wäre bestimmt auch eine gute Elternsprecherin, keine Frage, aber ich, ich kann das nicht und ich will das auch nicht. Denn ich helfe keinen fremden Kinder, übernehme ungern Verantwortung und wenn ich meine Brotzeit esse, will ich auch nicht, dass mir dabei jemand zuschaut.

Also frage ich die Klassenlehrerin, kurz bevor die Wahl losgeht, ob ich kurz raus darf, ich müsse ganz dringend mal für kleine Königspapas, aber sie tadelt mich sofort: 

„Also wirklich, Herr Tabula, eine Schulstunde halten sie doch aus ohne gleich aufs Klo zu rennen, hat ihnen ihre Tochter nicht gesagt, dass man vor dem Elternband zu Hause Lulu macht?“ 

„Doch, hat sie“, antworte ich geknickt und blicke betreten zu Boden. Der Papa von Amelie, der mir kurz zuvor noch gegenüber saß, nutzt derweil die Gelegenheit, um sich unter der Bank zu verstecken. Martins Vater bzw. seine Segelschuhe blitzen unter den Fenstervorhängen hervor und der Papa von Hugo liest die Infobroschüre zur Elternsprecherwahl als ob die der neueste Stephen King wäre. Pharisäaer, brenn in Salem, denke ich und falte die Hände. 

„Wer möchte die Wahl leiten?“, fragt die Lehrerin, bevor sie den Raum verlässt, weil sie das Elend nicht mitansehen möchte. Ich wittere meine Chance. Moderieren kann ich, Unsinn reden sowieso, und eine Wahl leiten, wie schwer kann das sein, nie wird jemand gewählt, der die Wahl leitet, oder, diese Taktik habe ich bereits letzte Woche beim Elternabend meiner kleinen Tochter erfolgreich angewandt, aber heute kommt mir die Mama von Markus zuvor.

„Ich mach das gerne“, sagt sie verlogen, tritt nach vorne und fragt in die Runde: „Wer möchte ElternsprecherIn werden?“ 

Das Schweigen im Zimmer lässt Taubstumme aufhorchen, es wird so laut wie unter der Oberfläche eines Aquariums, wenn die Wasserfilterpumpe ihren Dienst versagt. Alle schauen so bunt und dumm aus der Klamotte wie Dori in Findet Nemo: Wer, wo, warum, was wollen sie von mir, komische Frau vor der Tafel? Ist noch ein wenig Plankton übrig? 

Es ist zum Zerreißen. Niemand würde uns als Zierde der menschlichen Spezies ins Wohnzimmer stellen. Wenn unsere Kinder uns jetzt so sähen, würden sie sich für dieses Verhalten in Grund und Boden schämen. Falls sie Grund und Boden hätten, bei den derzeitigen Immobilienpreisen.  

„Papa, du sagst doch immer, wir sollen mutig sein, nach vorne gehen und den Biomüll vor die Tür stellen, aber du benimmst dich gerade wie ein entlaufenes Kätzchen umzingelt von einer Horde Pitbulls, die seit Tagen nichts gegessen haben –  verschüchtert, ängstlich und verloren.“ 

Pssst, nicht jetzt, schlechtes Gewissen, es ist grad Elternsprecherwahl und ich möchte auf gar keinen Fall gewinnen. Konzentration ist angesagt. Die ermunternden Worte meiner Frau schießen mir durch den Kopf: 

„Cool bleiben, Liebster, schau in die Gegend, aber nicht zu sehr, wipp mit den Füßen, aber nicht zu stark, nicht pfeifen oder summen, und auf gar keinen Fall melden. Irgend ein Opfer findet sich schon.“ 

Tatsache. Der Vater von Julia hebt die Hand. 
„Sie wollen kandidieren?“, fragt die Wahlleiterin und Markus Mama erleichtert. 
„Ähm, nein, aber meine Frau meinte, zur Not macht sie es wieder.“ Wir blicken auf ihn wie Schiffbrüchige auf das letzte verbliebene Rettungsboot der Titanic. 
„Junge, Es ist Not. Die Not war nie größer. Ihre Frau ist eine Heldin“, rufe ich.  
Die Mama von Julia wird aufgestellt. 

„Wer noch?“, fragt die Markus Mama in die Runde. 
Jetzt tritt die Königin der Bienen, die Kaiserin aller Umstürze, die Göttin der Wahlmanipulation aus dem Schatten der letzten Bank hervor – es ist die Mama von Max und sie fragt geradewegs die Wahlleiterin, also Markus Mama: „Sag mal, Manu, magst du das nicht machen?“ 

„Was ich? Also, ich leite doch schon die Wahl, bin Elternsprecherin in der ersten Klasse, im Elternbeirat des Gymnasiums, ich kümmere mich um zwei Katzen, drei Hunde, vier Kinder und lese freitags fünf Senioren im Altersheim die Pixi-Bücher von Meine Freundin Conni vor“, stammelt Manu panisch.

Aber sie wurde von ihrem Partner schlecht gecoacht. Denn als wir alle voller Erwartung weiter auf sie blicken, knickt sie ein und sagt schließlich: „Na gut, ich mach es, aber nur wenn ich nicht die erste Elternsprecherin werde.“ Tosender Applaus bricht aus. Klasse Manu, klasse und keine Sorge, die erste Elternsprecherin wird schon die Mama von Julia. 

Amelies Vater krabbelt unter der Bank raus, Martins Vater tritt hinter dem Vorhang hervor und Hugos Vater löst sich von Stephens Kings Das Grauen der Elternsprecherwahl. Erleichtert atmen wir auf und klopfen uns gegenseitig auf die Schultern. Gut gemacht Männers, wieder eine Schlacht hinterfotzig und unheldenhaft gewonnen. Tief in mir drinnen fühle ich mich ein bisschen mies und feige, aber irgendwie auch wie ein richtiger Wahlsieger.

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