Der Luxus des Rentners oder Beggars Delight

Ich möchte euch von zwei Begegnungen erzählen, die ich heute früh hatte.  Zunächst traf ich vor dem Kindergarten den Vater eines Mädchens, von dem meine kleine Tochter die ganze Zeit spricht. Die zwei spielen viel in der Sonnengruppe zusammen, sie teilen ihre Brotzeit, machen Quatsch. Neulich haben sie sich gegenseitig die Haare geschnitten. Sie sind BFK würde ich sagen. Best Friends for Kindergarten. 

Jetzt möchte meine Töchter auch mal am Nachmittag was mit ihrer besten Freundin unternehmen. Ich als braver Papa versuchte das natürlich asap in die Wege zu leiten. Und so sprach ich den Vater des Mädchens an. „Sie sind der Papa von … ? Meine Tochter spricht die ganze Zeit von ihr und möchte gerne auch mal außerhalb des Kindergartens mit ihr spielen.“ 

Der Vater entschuldigte sich. Er erklärte auf Englisch, dass er kein Deutsch spreche, also wiederholte ich alles auf Englisch. „So you are the Papa of … ? My daughter talks all the time about her und wants to play outside the kindergarden with her. “ Der Mann erklärte, er hätte mich schon vorher verstanden. Er verstehe Deutsch, spreche es aber nicht so gut. 

„Ah, oh, so, he, he“, sagte ich. Wir lachten und tauschten Nummern aus. Dabei fragte er mich, ob ich jetzt wie er zur Arbeit fahre. Ich trug eine graue Jogginghose, einen blauen Kapuzenpulli und keine Frisur auf dem Kopf. Natürlich, nickte ich. „Ich habe ein Start Up für Jogginghosen gegründet und teste selbst täglich meine Produkte. So wie Elon Musk seine Teslas. Beggars Delight heißt die Firma und sie trägt den Slogan: Look like a Bum, feel like a hero“, antwortete ich nicht, sondern: „I´m a Copywriter, i can work from home.“ Wobei die Betonung auf „can“ liegt. Gerade habe ich nämlich nicht so viel zu tun, aber das sagte ich ihm nicht. Stattdessen fragte ich: 

„And you? What do you do?“ 

„I am an Engineer“, sagte er.

„Oh nice, at BMW?“ Dabei blickte ich auf seinen BI EM DOUBLEYOU. 

„No, no, it´s at Dornier.“

„Oh, nice, maybe the Coworkers interested in some Jogginghosen from Beggars Delight“, dachte ich und sagte: 

„Okay, then on to work and nice to meet you, father of…“

„Yeah, you too, Mate. See you soon.“ 

Der Mann stieg in seinen BMW und wendete effizient auf dem Parkplatz des Kindergartens, während ich prokrastinierend mit meinem alten klapprigen Damenrad an ihm vorbei fuhr und mich sogleich fragte, ob es nicht schlauer gewesen wäre, auch ein Engineer zu werden. Und jetzt was zu engineeren. Statt Komparatistik studiert zu haben und sich ständig mit irgendwelchen Engineers zu vergleichen. 

Was hatte ich noch von heute zu erwarten? Zeit ohne Ende hatte ich. Und ja, auch das Bedürfnis zu schreiben war da. Aber ich wusste weder was noch für wen – ich hatte weder Fokus noch Ziel, noch eine weltbewegende Botschaft. Und der Engineer-Zug war schon lange abgefahren. Hm, einen Bi EM Doubleyou würde ich schon auch gern fahren wollen, aber jetzt irgendwo in die Arbeit zum irgendwas engineeren, was der Chef dann de-engineerte, da hatte ich dann wieder weniger Lust zu. 

Also fuhr ich erstmal zum offenen Bücherschrank in die Planegger Straße und erlebte meine zweite Begegnung des Tages. Ich stöberte gerade durch das Lektüreangebot und entschied mich für „Herr Lehmann“ von Sven Regener, als eine Frau auf einem klapprigen alten Damenrad hinter mir auftauchte. 

 „Ja, da findet man immer gute Sachen zum Lesen“. 

Ich drehte mich zu ihr und sie fuhr fort. 

„Neulich habe ich hier eine ganz spannende Zitatensammlung  entdeckt  –  mit Zitaten, die selbst ich noch nicht kannte. Und das konnte gar nicht sein, den ich kenne alle Zitate.“ 

Wow, alle Zitate kennen, das wäre auch eine Errungenschaft, dachte ich. Allemal besser als ein Abschluss in Komparatistik. Als Engineer engineeren, Bi EM Doubleyou fahren und alle Zitate kennen. Da ist man doch ein gemachter Mensch. Wenn dir da einer blöd kommt, kannst du immer kontern mit: „Hochmut kommt vor der Kündigung.“ Oder: Wer ohne Sünde ist, werfe das erste Flipchart an die Wand.“ Oder: „Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein schweigender Idiot geblieben.“ Oder wie die Frau vor dem Bücherregal sagte: 

„Ob du heiratest oder nicht, du wirst es bereuen.“ Bäm. 

„Das gefällt mir“, sagte ich. „Vom wem ist das?“ 

„Robert Lembke“, sagte sie und begann, mir von ihm vorzuschwärmen. Ein so intelligenter Mann war das, so wunderbar schlagfertig und herzlich. Er behandelte jeden gleich in seiner Sendung, ob Porzellanhersteller oder George Clooney, nie abschätzig, nie von oben herab, immer auf Augenhöhe, immer mit Respekt. 

„Toll“, sagte ich. „So soll es sein. Kennen sie noch ein schönes Zitat, dass sie mir mit auf den Weg geben können?“ 

„Der beste Arzt für jeden ist die eigene Mäßigung“, sagte sie. 

„Robert Lembke?“ 

Sie schüttelte den Kopf. Das habe ihr der verstorbene Vater ins Poesiealbum geschrieben und sie habe sich ein Leben lang daran gehalten. Außer ein paar Krankenhausaufenthalten, die sie gut überstanden hatte, sei sie bis jetzt immer gut damit gefahren, gesund und froh. Und sie ist sehr glücklich, hier zu leben. Sie habe 35 Jahre als Altenpflegerin gearbeitet, das habe ihr viel gegeben, sie würde das gleiche wieder machen, so sehr hat es ihr Freude bereitet, anderen Menschen zu helfen. Jetzt lebe sie von einer kleinen Rente, aber es reiche, um Mittag bei ihrem Lieblingsgriechen zu machen, ohne auf die Uhr schauen zu müssen, wann Mittag vorbei sei. Das sei der Luxus des Rentners, schließlich: „Man braucht kein teures Designerkleid, sondern nur etwas Leckeres zu essen.“

Woher ich sei, fragte sie, ich habe so ein anders klingendes Timbre in meiner Stimmte. „Sie sind nicht hier geboren, oder?“ Ich lachte, weil sie falsch und richtig lag, uns es ihr wie mir egal war. 

„Ich bin in München geboren, aber meine Eltern kommen aus Kroatien.“ 

„Ah, Kroatien. Ich habe jahrelang mit Ordensschwestern aus Kroatien gearbeitet. Die kamen aus Tzschakovo.“

„Sie meinen Đakovo.“ 

„Ja, genau Tzschakovo.“ 

Sie dachte, ich sei Franzose. Was ein Kompliment, merci beaucoup, Madame. Sie mochte die Franzosen, sie mochte Frankreich. Sie hatte schöne Erinnerungen an das Land, verbrachte viele Urlaube dort, außer in der Normandie, da sollte man sich als Deutscher besser nicht blicken lassen. Nicht mehr.   

Und die Griechen, die mochte sie auch, denn was waren die gastfreundlich, sagte sie, wenn da der Salat versalzen sei, konnte man einfach sagen, „Yannis, der Salat ist versalzen“, und Yannis brachte einfach einen neuen, aber mache man das mal in einer deutschen Wirtschaft, da beginne doch gleich der nächste Blitzkrieg.  

„Nee, nee, das geht gar nicht“, sagte ich und bedankte mich für ihre gesammelten Weisheiten. Mit einem beschwingten Gefühl schwang ich mich aufs Rad und radelte weiter meinem Weg entgegen.  Nichts bereuend, die eigene Mäßigung im Blick und ganz nach dem Luxus des Rentners – in Jogginghose, ohne Bi EM Doubleyou, ohne Uhr, ganz fest an das nächste leckere Mittagessen denkend. I hope, this helps you. Would be my pleasure. 

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