40 ist das neue Jetzt

Letztens bin ich 40 geworden. 
Wenn man das so ausspricht, hört sich das richtig alt an. 
Fuck, wie alt bist du?, fragen jetzt manche.  
Und vor allem: wie fühlt sich das an? 

Also morgens fühlt sich das megamüde an, wenn ich um sieben aufstehen muss, um die Kinder auf den Weg zu bringen, Frühstück, Brotzeit, Papiergeld, Flöte, Rucksack, Schnelltest und so weiter.  

Keine Ahnung, ob das mit 20 besser gewesen wäre. Um sieben habe ich da meist tief und fest geschlafen. Ich hatte weder Frau noch Kinder, sondern lediglich Literaturstudium und einen Kater – vom Saufen.

Wenn ich früher die ganze Nacht gesoffen habe, war ich am Morgen schon wieder nüchtern, so viel konnte ich vertragen. Die Leute konnten nicht mal unterscheiden, ob ich jetzt einfach nur dicht war oder so wie immer – crazy. Ich konnte saufen wie Harald Juhnke zu seinen besten Zeiten – und danach ab aufs Konzert. Heute leide ich nach paar Bier eine ganze Woche lang wie ein angefahrenes Opossum.  

Mittags bekomme ich die letzten Jahre schon ein fieses Tief, vor allem, wenn ich etwas Schweres gegessen habe. Die Nudeln, der Döner oder die Pizza ziehen mich dann auf den Schlafgrund nieder und ich muss einfach ein Nickerchen einlegen, zehn bis fünfzehn Minuten, dann geht es weiter – aufs Klo zum Pinkeln. Denn meine Blase, die alte Säckin, ist auch nicht mehr die jüngste. 

Früher habe ich nie Mittags kurze Powernaps gemacht, eher so lange,  zweistündige. War ja auch nix zu tun damals. Man war jung, dumm und dachte, dass man noch so viel Zeit hätte. Für alles. 

Heute weiß ich, so viel Zeit ist gar nicht, die Hälfte ist schon rum, und wer weiß, hinter welcher Ecke der Herzinfarkt, das nächste Virus oder der nächste Irre wartet. Hinzu kommen jede Menge Wehwehchen, ständig und überall – mimi mimi mi. Meine Knie schmerzen, Patellaspitzensyndrom vom Joggen letztes Jahr. Mein Rücken schmerzt, Bürositzsyndrom vom Büro sitzen die letzten 20 Jahre. Ohne Übungen, Ibuprofen und selbstgebrannten kroatischen Schnaps ist das gar nicht auszuhalten. Aber wisst ihr was? Ich trinke das Stamperl, ich schlucke die Pille und mache meine Übungen. Ja, ich bewege mich mehr denn je. Denn wer rastet, der stirbt. Bin ich also wach, bin ich unterwegs. Wenn ich nicht unterwegs bin, schlafe ich – zack und weg. 

Unterwegs sein oder Schlafen – das ist mein Yin und Yang. Breaking Bad, Stranger Things, Ozark – die Serie kann noch so spannend sein, ich bingewatche nur REM-Phasen. Früher habe ich mich gefragt, wie mein Vater bei einem so krassen Action-Kracher wie Stirb Langsam nur einschlafen kann. 1995 war das. Da war mein Vater 40. Er kam mir so unendlich alt vor. Jetzt bin ich so alt wie er und kein spannender Film auf dieser Welt ist für mich so spannend wie ein entspanntes Schläfchen auf der Couch. #Schnarch Langsam 

Was noch? Mir wachsen überall Haare, also überall, außer dort, wo ich sie gerne hätte. Und grau werden sie. Scheiße, werden die grau. Aber auch irgendwie lässig. Ich bin jetzt ein Silberbrustkorbgorilla, aber immer noch offen und lernfähig. Ich weiß jetzt, wie man Fenster streifenfrei sauber kriegt, den Rasen mäht, Pflaster klebt, das Klo putzt, die Wäsche macht, puzzelt, aufräumt, schimpft und tröstet. 

Ich passe mich der Welt und der Gesellschaft besser denn je an, weil ich heute nicht mehr wie früher glaube, die Weisheit mit dem BigMac gefressen zu haben. Ich weiß mehr als früher und deshalb auch, wie wenig das immer noch im Vergleich zum ganzen Nichtwissen ist. Ich begreife den Wert von Diversität, Gendern und TikTok. Wirklich, jeder hat das Recht, zu sein, wie er mag, Sprache formt Realität und jeden Tag ein, zwei TikTaks und der Atem bleibt frisch.

Keine Ahnung, ob es jetzt gut oder schlecht ist, ob es mit mir weiter nach oben oder unten geht, bergauf oder bergab – ich war noch nie gelassener als heute. Ich sorge mich nicht mehr, Dinge zu verpassen, ich sage kurzfristig Partys ab, um auf der Couch mit meiner Liebsten zu Netflix&Chillen, und ich weiß auch nicht, ob 40 das neue 30 ist und was das überhaupt bedeutet.  

40 ist das neue 30, blau ist das neue grün, Frühling ist der neue Sommer, x ist das neue y. Das ist doch total bescheuert, wo bleibt da die eigene Identität, wenn man so leicht austauschbar wird, wenn man so einfach durch etwas anderes ersetzbar ist, was man gar nicht selbst ist.   

Ich glaube nach wie vor, 40 ist 40 ist 40 ist 40 und ich bin heute irgendwie genau so wie früher, so mit 20 etwa. Nur halt anders. Älter. grauer, dicker, gemütlicher. Jetzt mit Frau, Kindern und einem Kater – ohne gesoffen zu haben. 

Ich will immer noch Freunde treffen, Spaß machen, Sex haben und eine gute Zeit erleben. Jetzt halt nicht mehr bis weit nach Mitternacht, sondern eher kürzer – so bis kurz vor 12 vielleicht. Dann ist Zeit fürs Betti. Aber vorher noch schön einen Joint durchziehen, damit es sich besser schläft. Prioritäten setzen kann ich. In dem Alter, in dem ich mich gerade befinde, habe ich das mittlerweile begriffen. Und wenn mich jemand fragt, wie alt ich bin, finde ich das als Frage total unpassend. „Wie fühlst du dich?“ ist spannender. 

Und was soll ich sagen: „Ich fühl mich mal alt, mal jung, mal schlau, mal dumm, mal schön, mal hässlich, mal nett, mal fies, mal gut, mal mies, mal glücklich, mal traurig, mal wütend, mal schaurig, mal euphorisch, mal ängstlich, mal langsam, mal schnell, mal fit, mal krank, mal dope, mal woke, mal links, mal rechts, und dann eher mitti, mal alles easy, mal ich muss dringend peasy, mal einsam, mal zweisam, mal connected und geliked, mal gedissed und overhyped, ein Teil von allem und dann wieder von nichts, mal so, mal so halt. Wahrscheinlich wie wir alle von Zeit zu Zeit – ganz unabhängig davon wie jung wir sind.  Von daher: keine Angst vorm alt werden. Denn ich verrate euch ein Geheimnis: 40 ist das neue Jetzt!